Hier nun ein Textauszug aus meinem Buch : Die Magische Natur-Spiegelungen der Seele
Mancher Liebe Hoffnungsschimmer
führt uns tief auf Seelengrund,
stärker scheint das zarte Glimmen,
tut dem Wandrer Heimat kund.
Doch die Strömung treibt uns weiter,
weiter auf dem Weg zum Ich,
auch wenn wir so gern verweilten,
scheint der Weg erforderlich.
Durch Raum
und Zeit der Weg uns treibt
und was am Ende übrigbleibt
ist wie ein Stern, der ewig brennt
und eins mit sich im Traum erkennt
dass er sich niemals hat bewegt
und er auch niemals untergeht,
doch seiner Strahlen viele
sind,
so strahlst auch du,mein lichtes Kind.
Du manchmal dich im Strahl verlierst
und eine neue Welt gebierst,
dort wo der Strahl die Erde küsst,
baust du sogleich ein Scheingerüst
und entwickelst zärtlich-mächtig
Hang
auf ewig zu verweilen
doch ist dies nur ein Übergang,
um Mensch in dir zu heilen.
Je mehr du es behalten willst,
wird es sich dir entziehen,
es wird vor jeder fordernd Hand
in grenzenlose Freiheit fliehn.
Es treibt dich immer wieder fort,
und kommt erst dort zur Ruh,
wo du im Kern des Sterns dich fühlst
und du erkennst im Du
den strahlend hellen andern Stern,
der gleich wie du, dem Himmel fern,
auf Erden seine
Runden dreht
strahlverloren Wege geht
und dir am Weg begegnet.
Doch wenn der Stern den Stern erkennt
und Stern im Mensch beim Namen nennt
ist´s ein bezaubernd schöner Traum,
euch selbst zu sehen im Erdenraum.
Mit jeder Faser du dann weisst,
dass das, was Raum und Zeit bereist,
nicht mehr ist als ein Strahl vom Stern,
der ruht in Sternenheimats Kern,
der aus dem Sein das Ich gebiert
und sich so gern im Traum verliert,
dass
er getrennt von sich und andern,
in alle Ewigkeit muss wandern
So lebst du selbst in deinem Traum
und findest dich in ew'gem Raum,
wenn dir im Herz die Sonne brennt
und sich der Stern durch dich erkennt.
Wenn sich
der Stern im Herz erkennt,
gibts nichts mehr,was den Himmel trennt
von unsrer heilgen Mutter Erde
So leuchte Mensch als Stern..und werde
Hier nun ein Auszug aus Oma´s Märchenbuch von Margarethe Schmuck und Lile an Eden
Das verzauberte Brünnlein
von Margarethe Schmuck
Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein Elternpaar, mit seinem Töchterchen, am Rande eines Waldes, in einem ganz armseligen Häuschen. Dort, wo sich die Füchse gute Nacht sagen. Zu essen hatten sie meist nur für
den halben Magen. Obwohl die Eltern rechtschaffene Leute waren, und der Vater immer auszog, um Arbeit zu suchen, kam er fast immer ohne Geld nach Hause. Sie mußten sich immer nur von dem ernähren, was in Gottes freier Natur wuchs.
Doch da drückte
die Eltern noch eine andere Sorge. Ihr Töchterchen hatte eine überaus lange Nase. Sie stieß
überall mit ihr an. Das Mädchen fühlte sich so unglücklich, und die Eltern litten mit ihr. Ihnen fehlte das
Geld, um einen
Arzt zu bezahlen, der helfen könnte. Wieder lag das Mädchen in ihrem Bette und weinte leise
vor sich hin. Da hörte es ihre Eltern seufzend beratschlagen, wie sie ihrem Kinde helfen könnten. So
hörte sie, wie der Vater zur
Mutter sagte, er erinnerte sich noch an eine weise Frau,die ihm einmal erzählt hätte, daß es ein Brünnlein gäbe, das verzaubert wäre, und wenn man sich darin wasche, alle Gebrechen vergingen.
Aber um es zu finden, müsste
man ein Sonntagskind sein. Das Mädchen merkte sich alles genau. Am nächsten Tag fragte es die Eltern, wann es geboren wäre. Die Mutter sagte das Datum und daß es ein Sonntag gewesen war und sie somit ein Sonntagskind wäre. „Warum
fragst du?“ „Nur so..“ antwortete das Mädchen, aber es war ganz durcheinander. Es wußte nicht, was es machen sollte. Sie wollte alles tun, damit ihm geholfen werde, aber im Geheimen fürchtete es sich. Es wußte nicht,
wo es das Brünnlein suchen sollte.
Wie konnte es überhaupt von zuhause fort, ohne daß die Eltern es bemerkten. Es wollte ihnen keine Sorgen
machen, doch die Geschichte ging ihm trotzdem nicht aus dem Sinn. Denn es wollte unbedingt
seine lange Nase verlieren. Ein paar Tage quälte es sich, aber dann entschied es sich, das Brünnlein suchen zu gehen. Es
schrieb den Eltern einen Zettel, sie sollen sich nicht sorgen, es wolle das verzauberte Brünnlein suchen, und
käme
erst wieder, wenn es das Brünnlein gefunden hätte.
Das Mädchen schlich sich von zuhause fort. Ein kleines Stückchen Brot nahm es mit. Das Mädchen ging tiefer und tiefer in den Wald hinein. Es war ganz finster und es raunte und
rauschte in den Bäumen. Das Mädchen fürchtete sich sehr, aber es ging tapfer weiter.
Es dachte immerzu, einmal müßte der Wald doch zu Ende
sein. Als es schon lange unterwegs war, kam es zu einer Lichtung mit einer kleinen Wiese. Es setzte sich in die
Wiese, nahm ein paar Bissen Brot, stärkte sich ein wenig und müde
schlief es ein. Als es wieder erwachte, saß ein schwarzer Hund neben ihm und leckte über sein Gesicht.
Am Anfang hatte es Angst vor dem Hund. Aber der Hund schaute es so treuherzig an, und so strich es ihm über den Kopf und eine Freundschaft wurde geschlossen. Der Hund wich ihm nicht mehr von der Seite, und das Mädchen ging ein wenig fröhlicher
weiter. Es fühlte sich beschützt und nicht mehr ganz verloren. Als sie den Wald hinter sich ließen, tat sich eine weite Ebene vor ihnen auf. Weite, große Wiesen mit bunten Blumen, von Flüssen und Bächen durchtrennt. Das Mädchen
dachte, eines von den Gewässern müsste das verzauberte Brünnlein sein.
Ein paarmal versuchte das Mädchen, aus einem der Bächlein zu trinken, doch jedesmal ertönte eine Stimme:
„Trink nicht daraus und wasche auch
dein Gesicht nicht, es könnte dir schaden.“ Das Mädchen glaubte der
Stimme und tat, wie ihm geheissen. Sie waren nun schon lange gewandert und hatten nichts mehr zu essen und zu trinken, da setzte sich das Mädchen auf einen Stein
und der Hund legte sich ihm zu Füßen. Der Hund und das Mädchen schliefen ein. Tage und Nächte hatten sie das wunderschöne Tag durchwandert, aber von dem verzauberten Brünnlein hatten sie nichts gehört und gesehen. Sie kamen
an Häusern vorbei und baten um ein bißchen Essen und Trinken, und manchmal wurde ihnen eine Kleinigkeit gereicht, doch meistens schlugen die Leute die Türen zu. Sie wollten mit den beiden nichts zu tun haben.
Also schliefen sie jede Nacht
im Freien und erwachten mit dem ersten Sonnenstrahl. Das Mädchen rieb sich die Augen und dachte: „Wie lange muss ich noch wandern, bis ich das Brünnlein finde und meine Nase los werde, damit sich die Menschen nicht immer von mir abwenden. Ich
will arbeiten nur für mich und den Hund, um das Essen zu verdienen.“ Auch an ihre lieben Eltern dachte es oft, und es bedrückte es, weil es wußte, daß es nun schon lange fort war und sie sich sicher sorgten. Auf einmal hörte
es ein feines Rauschen und Murmeln. Das Mädchen blickte zu Boden, da sah es mit Staunen ein kleines Bächlein unter dem Stein hervor quellen, das es am Abend nicht bemerkt hatte. Es hörte aus dem Murmeln eine Botschaft: „Wasche dich und
trinke daraus.“ Es zog sich aus, badete darinn und trank daraus. Als es sich abtrocknete, berührte es auch das Gesicht, und auf einmal wurde ihm bewußt, daß es die lange Nase nicht mehr fühlte. Es sah ihr Spiegelbild im Bächlein
und kannte sich kaum wieder. Ein wunderschönes Mädchen schaute ihr entgegen. Es kniete sich nieder und dankte dem Herrgott für die Gnade. Auch der Hund hatte darin gebadet. Als das Mädchen nun wieder nach dem Bächlein und dem Hund
sah, waren beide verschwunden.
Auf einmal stand ein schöner Jüngling vor ihm. Er sagte, er wäre von einem bösen Zauberer in einen Hund
39 verwandelt worden und ihre gemeinsame Suche nach dem Brünnlein hätte ihn erlöst.
“In Wahrheit aber bin ich ein Königssohn. Mein Vater regiert ein großes Königreich.“ Der Königssohn legte den Arm um das
Mädchen und fragte es, ob es seine Frau werden wolle, denn er hätte es sehr, sehr lieb
gewonnen, und er bat es, ihn zu seinen Eltern zu begleiten. Das Mädchen sagte ja, denn es hatte ihn auch sehr lieb. „Aber was werden deine Eltern sagen, ich bin ja so arm und meine Eltern besitzen nichts.“ Der Prinz aber sagte, es
sei
reich an Werten, die kein Gold je aufwiegen könnte. So nahmen sie sich an der Hand, um heim in sein Königreich zu gehen, und wanderten wieder über Berge und Täler. Am dritten Tag, als sie auf einem Berg standen, zeigte der Prinz ins Tal
hinunter. Es stand auf einem kleinen Hügel ein wunderschönes Schloss. Ringsherum blühende Wiesen und Gärten. Der Prinz sagte: „Das ist von nun an unser Zuhause.“ Wie freuten sich der König und die Königin, daß
sie ihren Sohn wieder hatten und dazu so ein liebes und schönes Schwiegertöchterchen. Das war ein langes Erzählen und Feiern. Auch das Volk war von Herzen froh, daß es seinen Prinzen wieder hatte, und das Mädchen mit ihrem Liebreiz
hatte im Nu alle Herzen des Volkes erobert. Was machten die Eltern des Mädchens? Die Sorge um ihre Tochter ließ sie ganz verzweifeln. So saßen sie wieder einmal vor ihrem Häuschen auf der Bank, als sie einen Wagen kommen hörten.
Von vier schneeweißen Pferden wurde er gezogen und in der Kutsche saßen zwei junge Menschen, denen das Glück aus den Augen strahlte. Das Mädchen sprang aus dem Wagen zu den Leuten hinab und sprach „Erkennt ihr mich nicht. Ich bin
eure Tochter.“. Auch der junge Mann stieg aus der Kutsche, und die Tochter sagte: „Das ist mein Gemahl. Er ist ein Prinz und wir sind gekommen, um euch auf das Schloss zu holen.“ Ihre Eltern kamen aus dem Staunen nicht heraus, weinten vor
lauter Erleichterung und freuten sich von Herzen, daß es ihre Tochter so gut getroffen hatte. Im Stillen dankte der Vater der weisen Frau, die ihm vor langer Zeit vom verzauberten Brünnlein erzählt hatte, und dem Mut seiner Tochter, ihr Schicksal
selbst in die Hand zu nehmen.
"
Das Geheimnis des Waldes,
so alt und vertraut,
ist verborgen vom Haus,
das man um es gebaut.
Es ist ein Haus aus Zeit und Raum,
verborgen ists
man sieht es kaum
und schon verlierst du dich im Traum,
getrennt zu sein von der Göttlichkeit,
die verlassen du hast
bis zum Ende der Zeit.
Doch gibt es einen Zauberspruch,
der geschrieben steht im lebendigen Buch.
Nimm die Zeit als einen Raum
und das Leben nimm als Traum.
Nur die Liebe ist das Licht,
das Einheit schafft
und Träume bricht.
Das Haus, das sieh` als Illusion,
den Verstand stürze vom Thron,
Dein Herz wird deine Seele finden
und ewiglich sich an sie binden,
denn niemals waren sie getrennt,
noch Gott von Mensch,
wenn man den Schlüssel kennt.
Der Schlüssel nun, er ist vergraben,
doch sichtbar dem, der nicht will haben.
Das Haus ward nur zum Schutz gemacht,
da du der Träger bist der Macht,
den freien Willen zu verwalten,
wie´ s sagten dir, die sehr, sehr Alten,
auf dass du wachsen sollst und reifest,
dich nicht auf Macht, noch Ruhm versteifest,
bis du von Ängsten ganz befreit,
dich als Schöpfer fühlst bereit.
Als Sonne scheinst den Wesenheiten,
die dich auf deinem Weg begleiten,
doch muß dein Wille Liebe sein,
dass du dich kannst vom Haus befrei´ n.
Verbinden wirst du alle Zeiten,
für andere den Weg bereiten.
Erfahren wirst das ewige Jetzt,
das du in die Schöpfung setzt.
Angst und Zweifel werden schwinden,
im Paradies wirst du dich finden.
Es ist ein Spiel mit Wirklichkeiten,
die wandern durch erträumte Zeiten.
Ein Teil von dir in ihnen lebt,
ein andrer Teil vor Glücke bebt,
weil er erkannt das ew ige Spiel,
das er auch ist, wenn er es will.
Wenn du den Teil dem Teil vermählst,
nicht mehr der Zeiten Räume zählst,
wirst du mit dir vereinigt sein,
verlieren ganz den Trug von zwei´ n,
und wenn der letzte Schleier fällt,
das Spiegelbild dir schnell gefällt,
wenn du zum großen Spiegel rennst
und du in Gott dich selbst erkennst."
Hier nun ein Auszug
aus meinem neuen Buch AN- Liebe in Zeiten der Seelendämmerung..viel Spass beim Lesen ..
Ynys Witrin
Der mächtige Zauber der Schwesternschaft hatte Elara‘ s Körper verwandelt.
Wie ein Bächlein,
das vom Wind erhoben wird und auf der anderen Seite des Berges wieder Form annimmt, seiner Umgebung gemäss, hatte sich Elara‘s Körper im Wasser aufgelöst. Doch blieb die einzigartige Zusammensetzung der Seele erhalten im Gedächtnis
des Wassers und der eine Geist, der alle Wasser verband, hatte die Seele nach Ynys Witrin getragen. Genauer gesagt an das Ufer des Sees, der die Insel der Schwesternschaft vom Festland trennte. Ganz behutsam spülte der Geist des Wassers das Seelengewebe
an Land und augenblicklich nahm es Gestalt an. Elara existierte nur mehr als eine Version dieser Seele in Zeit und Raum im Gedächtnis der Frau, die hier ihre Augen öffnete. Ein Traum von vielen Träumen, aus dem sie gerade erwacht war. Ruhig
beobachtete sie die Oberfläche des Sees. Sie liebte es, wie die Strahlen der Sonne die tanzenden Lichter auf das Wasser zauberten. Sie liebte die Vielzahl der Geräusche der sie umgebenden üppigen Natur. Sie liebte die Schreie und das Singen
der Vögel, die sie verstand. Alles hier schien sie willkommen zu heißen.
Sie sah sie am Ufer stehen, die lange vermissten Schwestern und sie hatte das Gefühl nach einer langen Reise wieder nach Hause gekommen oder nach einem langen
Traum erwacht zu sein. Das Boot stand bereit,
und mühelos glitt ihr Körper ins Boot und im selben Augenblick spürte sie die Macht, die durch ihre Adern floss. Firrin stand neben ihr und hob ehrfurchtsvoll die Hände, angesichts der reinen Magie, die von der Insel ausging. Sein Äußeres
war unverändert und seine Erinnerung vollkommen gewahrt. Die Frau hob ebenfalls die Hände und schien die Luft auseinander zu ziehen, wie einen Schleier, auf
dass das Fenster sich öffne. Ihr Blick hatte den Schleier durchdrungen, doch war
es dem Körper nur möglich, den Schleier im Boot zu durchqueren, wenn die Geste des Teilens des Raumes von einer der Eingeweihten vollzogen wurde. Geräuschlos glitt die Barke durch das Wasser der Seelen, begleitet von Wesenheiten, die so alt
waren, wie die Erde selbst. Sie waren die Hüter dieses Heiligtums und manchmal erschienen sie jenen als Nebel, denen der Anblick der Insel nicht gewährt war. Es bedurfte eines vollkommen reinen Herzens, den See zu überqueren und in den Raum
der Insel einzutreten. Von weitem hörten sie schon den Gesang der Schwestern.
„ Von weit kommst du her
Und weit wirst du ziehen
Der Zeit wirst du
im Körper entfliehen-
Erwachen wirst du
im bleibenden Raum
die Fesseln sich lösen
vom trennenden Traum.
Den Namen erinnern,
der dir gegeben,
der du auch bist
im ew’gen Leben.
Dein Zeichen ist nun
in liebend Hand
Es mag dienen dem
Ritter
als magisch Pfand,
das Einlass gewährt
ihm in heiliges Land
Lilian, Schwester
nichts ist zu tun,
lass deine Seele
ein wenig ruhn
bald wird es Abend
Abend und Nacht
und Sehnen im Herzen
aufs neue erwacht.
Vergessnes gefunden
durch Liebe verbunden.
Das Ende am Anfang,
so mach dich bereit,
die Siegel zu lösen,
der Raum und der Zeit."
Der Gesang verflüchtigte sich ebenso
wie die Gestalten der Schwestern. Als Lilian das Ufer der Insel erreichte, stand dort ein Korb voller Früchte und sie war, mit Firrin, allein. Sie hatte ihn mitgenommen, weil ihre Seele fühlte, dass Firrin um Dinge wusste, die wichtig waren, wichtig
für sie, sich zu erinnern. Sie würde den Schwestern begegnen, dann, wenn die Zeit reif war. Jetzt aber folgte sie dem sanft gewundenen Pfad, der sie über eine leichte Anhöhe zu ihrem Häuschen führte, das mitten im Wald auf einer
Lichtung stand. Im Häuschen war das Feuer entzündet, das sie im Herzen, mit der Göttin verband. Bläulich-weiß war das Licht dieser Flamme und die unbewegte Stille dieses Lichts schenkte ihr jene Geborgenheit, nach der sie sich manchmal
sehnte. Sie fühlte sich müde und nachdem sie Firrin ein Ruhelager in einer der strohgedeckten Hütten, die in der Nähe des Häuschens im Wald standen, bereitet hatte, zog sie sich zurück. Sie sehnte sich nach Ruhe und legte sich
auf ein Fell, das vor der Feuerstelle den lehmigen Boden bedeckte. Sie starrte ins Feuer und grüßte das ihr vertraute Gesicht, das mitten in den Flammen stand. Es war das Gesicht der Göttin und lächelnd erkannten sich ihre Augen in denen
der Göttin.
Wenn auch das Gesicht sich wandelte, mal alt, mal jung, mal zeitlos erschien, war es doch immer dasselbe und es war nur eine Frage der Zeit, bis es aus den Flammen verschwand und aus ihrem Inneren wirkte. Je nachdem mit welchem Ausdruck
der Göttin sie sich zu vereinigen wünschte, nahm ihr Körper das Alter an, das ihrem inneren Zustand entsprach. Heute wählte sie die alte Frau, die Weise. Sie war der Gezeiten müde und sie suchte die Stille des Alters, das die Zyklen
des Mondes im Körper beendet hatte. So verband sie sich mit der Alten und sogleich nahm ihr Körper die Gestalt einer alten Frau an. Langes weißes Haar umrahmte jetzt ihr Gesicht und sie sah an den Flecken der Haut an den Händen, wie müde
sie tatsächlich war. Erschöpft von endloser Reise wünschte sie sich einen traumlosen Schlaf.
Die Sonne stand schon hoch über dem See, als sie am nächsten Morgen erwachte.
Ihr erster Weg führte sie zu den Schwestern,
die sich bei ihrer Ankunft verneigten. Sie hatten sich an Lilians Verwandlungen gewöhnt und erkannten sie in jedem ihrer Gesichter. „Seid gegrüßt, Schwestern meiner Seele“ - „Seid gegrüßt Herrin“ -
Eine
Unmutsfalte erschien auf ihrer Stirn.„Ich mag es nicht, wenn ihr mich so nennt, ich habe es oft und oft gesagt.“
Lilians Stimme bekam eine Schärfe, die man in diesem gütigen Gesicht kaum vermuten konnte. „Es ist an der Zeit,
den dir gemäßen Platz einzunehmen“, sagte eine der Schwestern. „ Wie kann ich den mir gemäßen Platz einnehmen?“ fragte Lilian. Ich weiß nicht, woher ich komme, ich bin nirgendwo zu Hause. Mein Leben scheint mir
ein Traum zu sein. In wie vielen Räumen bewege ich mich, in wie vielen Gesichtern? Ich wandere durch Welten und Räume, habe unzählige Namen. Meine Geschichten könnten Bücher füllen und doch weiß ich nichts über meine
Herkunft.
Oft habe ich das Gefühl mich selbst von aussen zu betrachten, wie ein Wesen, das ich ansehe. Doch fühle ich nicht von innen. Es ist als ob ein unsäglicher Schmerz mich vom direkten Erleben getrennt hätte. Alles in mir, das
mir wirklich scheint, ist dieses Sehnen, das immer wieder mein Herz berührt. Da ist ein Wissen in mir , ich fühle, dass es da ist , doch ist mir das Wissen selbst nicht zugänglich. Es ist wie etwas, das tief in meinem Seelenkern eingeschlossen
ist, wie ein verstaubtes Schatzkästchen, dessen Schlüssel ich nicht finde. Ich fühle Leben darin, unermessliche Liebe, doch ist es mir im Erleben nicht zugänglich. Ich wünsche mir den einen Raum, in dem ich eins bin, all das in mir
vereine, was ich an Geschichten erfuhr. Ein Wesen, das sich selbst in unendlichen Versionen erkennt und empfindet. Ich wünsche mir die wahre Gestalt , die eine Gestalt, die all die anderen umschliesst und ebenso wünsche ich mir den einen Raum zu
erfahren im Erleben, der alle anderen liebevoll birgt. Ich suche den Raum, den bleibenden Traum.“
Der Gesang der Schwestern
„Wandern wirst du durch die Räume.
Heller und dunkler mögen sie
dir scheinen,
größer und kleiner,
bis du den Raum gefunden hast,
der deinem Wesen entspricht.
Doch auch dieser Raum wird sich weiten und engen,
wird dir als Palast erscheinen und als Gefängnis.
Frei wie ein
Vogel wirst du fliegen,
über Räume und Raummaße hinweg.
Die Sonne spiegelt sich in allen Räumen
und Spiegel und Spiegelbild sind eins.
Dein Bewusstsein und deine Einstellung
entscheiden über Aufenthaltsort
und Befindlichkeit.
Die Räume sind miteinander verwoben,
durch keinerlei Türen getrennt.
Du und die Sonne sind eins,
so auch ihrer Strahlen viele sind.
Durchdringst du den Spiegel, einst du den Raum,
räumst
du die Zeit und erwachst im Traum.
Vergisst du die Zeit, gewinnst du an Raum.
Du wirst der Bewohner des Tempels sein,
sein Hausherr und Gast zugleich.
Im Werden sind die Räume, der Tempel aber ist.
Du bist und wirst
und die Räume entstehen durch dein Werden
und doch ist die Idee der Räume im Tempel enthalten.
Du kannst die Räume bewohnen,
ohne um den Tempel zu wissen.
Ein Raum kann dir erscheinen wie das Ganze.
Die Sonne spiegelt
sich in allen Räumen.
Der Wohnungen im Hause des Vaters sind viele,
der Tempel aber ist unteilbar. "
Lilian war all dieser Sprüche müde. Sie hatte das Gefühl, dass ihre ganzen Erfahrungen ein
einziges Rätselspiel waren, deren Lösungen andere zu kennen schienen, nur sie nicht. Sie wandte sich von den Schwestern ab. Noch war sie nicht bereit in das Spiegelbecken zu sehen, in das sich die weiße Quelle ergoss. Sie wollte die rote Quelle
aufsuchen, deren Wasser sie immer mit Kraft füllte und unter der Eibe sitzen, die ihr Schatten und Geborgenheit spendete. Mit der Göttin selbst wollte sie reden, deren Stimme sie durchdrang sobald sie an der roten Quelle des Kelches saß. Sie
lag unter einem Hügel, der Kelchshügel genannt wurde, weil sich in seinem Inneren ein Brunnen befand, der den heiligen Kelch beherbergte. Zu speziellen Zeiten holten ihn die Schwestern hervor, füllten ihn mit dem vereinigten Wassern der roten
und weißen Quelle und hielten den Kelch so, dass das Licht des vollen Mondes das Wasser berührte. Dieses vom Mond geweihte Wasser tranken sie, um sich mehr noch mit der Göttin zu verbinden und so mit ihrer eigenen Weiblichkeit.
Lilian
näherte sich dem Brunnen und setzte sich an den Rand. Das Wasser im Brunnen war mit Laub bedeckt, das sie sorg-sam entfernte. In den nun klaren Spiegel des Wassers blickend erschrak sie ob ihres eigenen Gesichtes.
Sie hatte nicht daran gedacht,
dass sie die Gestalt der Alten angenommen hatte und sehnte sich plötzlich danach jung zu sein, jung und schön. Doch war sie im Inneren zu müde um die Wandlung zu vollziehen. Was nur war im letzten Traum geschehen, das sie so erschöpft hatte?
Sie erinnerte sich kaum. Sie wusste, sie war in einem fernen Land gewesen und hatte als Gejagte, etwas zu verbergen gesucht. Da waren Hände, die nach ihr griffen, , da war ein Wappen mit 2 Schwertern und einer Rose, da war ein Gesicht. Das Gesicht war
das Eindrücklichste an diesem Traum. Es war ein männliches Gesicht und es kam näher und näher, bis sich ihre Lippen berührten und sie ein Gefühl durchströmte, das sie am
ehesten noch hätte vergleichen können
mit einem Ziehen in ihrer Herzgegend, einem Pulsieren, das jede Zelle ihres Körpers umfasst - und dann war da wieder dieser Schnitt. Dunkel erinnerte sich an die Hohen Wesen in den Hallen von Morias. Ein gütiges Gesicht war dabei gewesen, das sie
kannte, dem sie sich verbunden fühlte, über Zeiten und Räume hinweg. Es war das Gesicht Anthors und ein Gefühl wie zu einem Vater hatte sie durchströmt. Und da war Firrin, der Zauberer. Auch ihn kannte sie aus mehreren Träumen
und einem inneren Impuls folgend, hatte sie ihn mitgenommen nach Ynys Witrin. In diesen Hallen schienen verschiedene Träume oder Leben, wie sie ihre Träume nannte, zu verschmelzen, Figuren aus verschiedenen Träumen sich zu begegnen. Sie hatte
sich zu schwach und zu verwirrt gefühlt, in den Hallen von Morias zu verweilen und der Ruf der Schwesternschaft war zwingend gewesen. Offensichtlich brauchte ihr Bewusstsein Ruhe, Ruhe um sich zu sammeln, um neue Kraft zu tanken und dafür war Ynys
Witrin ein wundervoller Ort. Die Insel war wie eine Heimat für sie und doch auch nur ein Raum auf einer langen Reise, an dem sie Ruhe fand. Ein Erlebensraum, von dem sich sternförmig die Wege ausbreiteten, die sie in ihren „Träumen wandelte“.
Doch fühlte sie auch hier, dass es nicht ihr eigentliches Zuhause war, nur eine Möglichkeit zu erfahren, zu ordnen. Doch ihr wahres Zuhause war irgendwo in ihrem Herzen vergraben oder in den Sternen, oder in der Vereinigung mit der Seele dieses Mannes,
dessen Berührung sie verfolgte bis hierher, auf die heilige Insel. Die Erinnerung an die Begegnung war so intensiv, dass sie sich unwillkürlich ans Herz fasste. Der Puls war lauter geworden, viel stärker. Es war, als ob doppelt so viel Energie
durch ihr Herz strömte als zuvor und sich durch ihren ganzen Körper ausbreitete. Sie hatte das Gefühl, den Boden unter den Füssen zu verlieren und ihr Körper schien völlig mit der sie umgebenden Natur zu verschmelzen. Ihr Seelengewebe
aber fand sich völlig befreit
im weiten Raum, eng verbunden mit seiner Seele, die ihrer so ähnlich war und doch die vollständige Ergänzung, wie 2 Versionen einer Melodie, deren eine zutiefst empfangend war, sich hingebend, und deren
andere befruchtend war, stark, gütig, beschützend. Doch war es eine einzige Melodie, die sich ausdrückte durch sie, die sich steigerte, die den Rhythmus variierte und in unendlicher Schönheit in Raum und Zeit erklang. „ Lilian“,
Firrins Stimme durchbrach dies himmlische Erleben und schon spürte sie sich wieder im Körper der alten Frau. Noch immer saß sie auf dem Brunnenrand und Firrin saß neben ihr. Seine Augen drückten Besorgnis aus und seine Frage kam
unvermittelt:“ Was erinnerst du?“
„ Was meinst du?“ fragte Lilian. „Was erinnerst du von dem, was vor den Hallen von Morias war?“ - „Nicht viel“, sagte Lilian und in ihrer Stimme war ein tiefes Bedauern.
„Das liegt daran, dass du durch den Tod gegangen bist“, erwiderte Firrin. „ Tod?“ Ein sanftes Lächeln glitt über das Gesicht der Alten. Sie wusste, dass menschliche Wesen an den Tod glaubten, im Sinne eines Endes des Lebens,
doch von hier aus betrachtet, war es für sie nicht mehr als ein Abstreifen eines Traumes. Unverständlich schien ihr diese Aussage aus Firrins Mund. Er selbst war ihr auf die Insel gefolgt, so musste er um die Unsterblichkeit wissen. Mit prüfendem
Blick erforschte sie seine Gedanken und plötzlich verstand sie. „ Du meinst, ich bin als Mensch gestorben?“ Firrin nickte. Lilian brauchte lange, um das Gesagte zu begreifen. Hier auf Ynys Witrin, schienen ihr nur die Schwestern real, die
Vögel, die Bäume, die Quellen. Alles was sie auf ihren „Reisen“ erlebte, schienen ihr Träume zu sein, aus denen sie erwachte, sobald sie sich am Ufer des Sees fand. Nie hatte sie daran gedacht, dass sie in Fleisch und Blut leben
könnte im Reich der menschlichen Wesen, als eine von ihnen. „Hast du mich als Mensch getroffen?“, fragte sie Firrin. „Ja“, antwortete er, „du hattest den Körper einer wunderschönen, jungen Frau. Ihr Name war Elara
und du hast
ein Geheimnis beschützt und es in die Hände des Mannes gelegt, den du liebst.“ Lilian erschauderte und das Sehnen, das sie gespürt hatte, wurde noch stärker. „ Bitte erzähl mir, was du weißt“,
bat Lilian. Und Firrin erzählte ihr alles, was er wusste. Er erzählte von den Zeiten Lemuriens, er erzählte Anthors und Xenons Geschichten und er erzählte ihr von Angus an Og, von der Vision, die er hatte, von der Reise und wie sie sich
letztendlich begegneten auf dem Hügel im fernen Reich. Und langsam begann Lilian zu begreifen, dass all ihre Träume Realität waren, erfahrbar und erlebbar für viele und dass andere in diesen Träumen gefangen waren und glaubten, sie
wären ihr ganzes Leben und dessen Ende der Tod. „Wie grausam“, dachte sie und wie wundervoll zugleich. Sie war erschüttert und dankbar gleichermaßen und bat Firrin sie alleine zulassen. Sie brauchte jetzt Zeit, Zeit für sich,
Zeit zu verarbeiten und sich an all ihre Träume wieder zu erinnern. Sie musste sich jeder Einzelheit gewahr werden, das fühlte sie jetzt mit aller Deutlichkeit. Sie würde das Ritual des Kelches nützen und als lebendige Göttin das Spiegelbecken
aufsuchen und die Erinnerung rufen. Und dieses Mal, das wusste sie, würde kein Schmerz, weder menschlich, noch göttlich sie davon abhalten, die Wahrheit zu erkennen.
Sie bedankte sich bei Firrin und fragte sich, ob er bleiben, oder die Insel
verlassen würde. „ Ich werde gehen“, sagte Firrin, „denn noch ist meine Aufgabe nicht zu Ende. Ich werde alles tun, damit sich dein Schicksal erfüllt.“ Mit diesen Worten ging Firrin in Richtung des Sees und Lilian fühlte
ein leichtes Bedauern, doch hatten ihr seine Worte auch Hoffnung gegeben. Sie richtete sich auf und mit hocherhobenen Händen ließ sie Kraft der Göttin in sich hineinfließen, bis sie eins mit ihr war. Die machtvolle Stimme der Göttin
durchströmte sie:
„Ich bin, die ich bin, sein werde und war.
Ich bin ewig im Wandel,
und doch bin ich ewig dieselbe.
Ich lebe und sterbe,
ändere mich und bleibe stets gleich.
Ich
bin die Eine und die Vielen
in der Zeit und außerhalb der Zeit.
Mein Herz ist eins
im Himmel und auf Erden.
Mein Wesen ist Liebe
und die Welt ist mein Spiegel.
Den Himmel hab ich verlassen,
um im Fleisch zu gebären
das reine Herz.
Hört meine Stimme, meine Stimme ist überall.
Liebende sehen mein Gesicht.
Mein Mantel scheint in allen Farben
und das Ganze ist verborgen in jedem von uns.
Die Geschichte meiner Selbsterkenntnis
ist die Geschichte von allem was ist.
Tief, tief im Inneren bin ich,
ich sitze in der Mitte des Rades,
wie mein Geliebter auch
und von dort spreche ich zu euch,
zu den Teilen meines Selbst,
die den Weg gehen,
in der
Illusion von Zeit und Raum.
Hört mich in der Stille,
hört mich wo immer ihr seid.
Ich bin die Rose und die Lilie,
die Tochter und der Stein.
Ich bin menschlich und göttlich
Für immer vereint."
Die Schwestern hatten den Ruf vernommen. Weithin war die Stimme der Göttin erklungen, weit über Ynys Witrin hinaus bis zu den Seelen der Menschen. Lilian
kniete jetzt am Brunnenrand der roten Quelle, die auch Blutsquelle genannt wurde,
beugte sich weit über den Rand und tauchte beide Hände, die sich zu einem Kelch geformt hatten ins Wasser. Sie benetzte ihre Krone, ihre Augen, ihren Kehlkopf, das Herz, das Sonnengeflecht und die beiden unteren Energiezentren mit dem Wasser und
führte dann mit einer langsamen Bewegung beide Hände zurück zum Herz. Ihre Augen waren geschlossen. Sie hatte ihren Blick nach innen, auf ihre Seele gerichtet. Oft hatte sie sich gefragt, ob sie denn überhaupt eine eigene Seele hätte.
Sie fühlte sich manchmal wie ein leeres Gefäß, das mit Inhalten gefüllt wurde, den Bedürfnissen ihrer Umgebung gemäß. Jede Zeit und jeder Raum hatten eigene Gesetzmäßigkeiten und eigene Notwendigkeiten. Wie sie
hier auf der Insel die lebendige Göttin repräsentierte, repräsentierte sie in ihren traumartigen Zuständen andere Rollen, andere Inhalte. Sie wusste nicht, was sie überhaupt Ich nennen könnte. Das Gefäß, die Inhalte?
War sie der Kelch, durch den sich die göttliche Weiblichkeit in die Welt ergoss? War sie die Trägerin eines Prinzips, wie Xenon und Anthor es Firrin erzählt hatten? Die einzigen Momente, in denen sie ansatzweise so etwas wie ein Ich- Selbst
gefühlt hatte, waren jene glückseligen Momente mit diesem Mann gewesen. In diesen Momenten hatte sie sich lebendig gefühlt, beseelt und ganz. Lange betrachtete sie das Symbol der beiden sich überlappenden Kreise, das auf der Innenseite
des geöffneten Brunnendeckels prangten. Ein Symbol der Ewigkeit, der Verschmelzung von männlich und weiblich, von Bewusstem und Unbewusstem. Vielleicht war nun der Zeitpunkt tatsächlich gekommen diesem seltsamen Traum ein Ende zu bereiten, in
dem sie Leben träumte, wie etwas von ihr
entfernt Seiendes, in dem sie in ständig wechselnden Rollen sich fand und doch keiner der Rollen ihr ganz entsprach. In all diesen Rollen hatte sie sich damit abgefunden, dass ihre Herkunft verschleiert
war, ebenso wie ihr Name. Doch nun hatte sie das Gefühl, dass sie nur noch ein dünner Schleier von der Wirklichkeit ihres Selbst trennte. Sie würde sich nun ganz dem Sehnen hinwenden, jener einen Kraft, die an ihrem Herzen ansetzte und sie zog
und sie würde diesem Sehnen an die Wurzel folgen. Die Tatsache, dass sie dieses Sehnen so stark fühlte, zeigte ihr, dass etwas in ihr um Erfüllung wusste. Anders war es nicht zu erklären, dass sich die gefühlte Abwesenheit dieser Erfüllung
als schmerzliches Sehnen ausdrückte. Wenn dieses Sehnen nun symbolisch einen Fluss darstellte, so würde sie sie sich vom Fluss tragen lassen bis zum Meere hin und gleichzeitig würde sie dem Fluss bis zur Quelle folgen, aus der er entsprang.
Denn so wie der Fluss seinen Ursprung hat in der Quelle, musste auch ihr Sehnen einen Ursprung haben und ebenso, wie der Fluss sich ins Meer ergießt, würde auch das Sehnen sie zur Erfüllung tragen. Das Sehnen war die Verbindung zwischen Anfang
und Ende, zwischen ihrer Herkunft und ihrer Erfüllung, die einzige Kraft, die sie mit beiden verband. Und so beschloss Lilian, sich tiefer und tiefer auf das Sehnen ihres Herzens einzulassen, um letztendlich sich selbst in ihrer Ganzheit zu erfahren.
Auf einmal begriff sie sich selbst als den Fluss, der Quelle und Meer miteinander verband. Als sie sich aufrichtete, sah sie die Schwestern, die sich schweigend um sie versammelt hatten.
„Es ist Zeit“, sagte Lilian, „mit dem Ritual
zu beginnen“ . Die Schwestern malten ihr die Sonnenscheibe, repräsentiert durch einen Kreis, und darunterliegend die Mondsichel auf die Stirn. Lilian füllte den Kelch, den eine der Schwestern ihr reichte, mit dem Wasser der Blutsquelle und
wie schon viele Male zuvor schritten sie die Eibenallee entlang, schweigend bis sie das
Heiligtum der weißen Quelle erreichten. Hier schöpfte Lilian auch vom Brunnen der weissen Quelle, sodass sich die Wasser im Kelch vereinigten und einen
kurzen Moment lang, bevor sie das Heiligtum betraten,berührte ein Mondstrahl das Wasser. Im Inneren des steinernen Gewölbes hatten sie schon vor langer Zeit ein Becken angelegt, in dem sich das Wasser sammelte und die ruhige, vor Wind und Wetter
geschützte Wasseroberfläche diente ihnen als Spiegel, in dem sie sowohl Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges sahen, sofern es einem höheren Wohle diente. Der Raum war von Fackeln erleuchtet und Lilian trat an den Rand des Spiegelbeckens
und fokussierte ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Sehnen ihres Herzens. Die Schwestern, es waren 12 an der Zahl, hatten sich im Kreis um das Becken aufgestellt und reichten einander die Hände um den Schutzkreis zu schließen und den Raum für
die Zeremonie aufzubereiten.
Lilian stand im Innern dieses Kreises und verband sich geistig mit dem Wasser, der Luft, dem Feuer und der Erde. Sie rief die Geister aller Himmelsrichtungen, die Geister von oben und von unten. Sie rief die Ahnen, die Sternenkinder,
die Hüter der Zeit und des Raumes. Sie rief die Hüter der kosmischen Ordnung und sie rief zum Schluss das Nwyvre, jenes Element, das alles umhüllt und alles durchdringt. Sie rief die kosmische Bruder- und Schwesternschaft, sie rief den vereinigten
Geist der Tiere und der Pflanzenwesen. Sie rief den Geist der Sonne und des Mondes. Doch mehr noch als alles andere rief sie das Sehnen ihrer Seele in Erscheinung zu treten und ihr klare Bilder zu zeigen vom Anfang und Ende des Flusses, der ihrem Herzen entsprang.
Ruhig blickte sie auf die Oberfläche des Wassers und wartete auf die Bilder, die sich ihr sonst zeigten. Doch es geschah nichts. Nichts worauf sie wartete. Stattdessen begann sich die zuvor vollkommen unbewegte Wasseroberfläche vor ihren Augen zu
drehen, schneller und immer schneller und in der Mitte entstand ein Strudel, ein
mächtiger Sog, der sie einzusaugen und zu verschlucken schien. Sie hatte das Gefühl mit atemberaubender Geschwindigkeit in diesen dunklen Schacht zu stürzen,
der sich in der Mitte gebildet hatte, und noch im Fallen wurde sie sich der Leere gewahr, die sie urplötzlich umgab.
(c) Lile an Eden
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